27.01.2020 Berufsverbote - das war einmal?

Geheimdienst als Einstellungsbehörde

Die Berufsverbote-Politik der 1970er/80er Jahre wird von einigen noch erinnert als nicht aufgearbeitetes Kapitel bundesdeutscher Geschichte, ist den Meisten aber überhaupt kein Begriff. Auch deshalb erinnert die Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR) daran mit mehreren Artikeln, u. a. den von Rolf Gössner, der über 40 Jahre vom Verfassungsschutz beobachtet wurde - unrechtmäßigerweise, wie Gerichte mehrfach bestätigt haben.

40 Jahre? Wie passen 40 Jahre in zwei Jahrzehnte?

Genau, die Berufsverbotspolitik mit der Beobachtung aller Menschen, die sich für den öffentlichen Dienst bewerben und der Verfolgung bis zu zur "Entfernung aus dem öffentlichen Dienst" von über 10.000 Menschen mag ein Relikt der 70er und 80er Jahre gewesen sein, aber die Verfolgung mißliebiger Ansichten ging auch danach weiter, z.B.

  • 2004 wurde dem Realschullehrer und Antifaschisten Michael Csaszkóczy in Baden-Württemberg wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue die Einstellung in den staatlichen Schuldienst verweigert,
  • Silvia Gingold, Tochter jüdischer Widerstandskämpfer, kämpft noch heute gegen ihr Berufsverbot als Lehrerin in den 70er Jahren u.a. wegen Mitgliedschaft in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) und versucht vor Gericht, die "aus Geheimhaltungsgründen" größtenteils geschwärzte Verfassungsschutz-Akte einzusehen,
  • Im April 2016 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe entschieden, dass die Bespitzelung und Überwachung des Lehrers Michael C. durch den Verfassungsschutz rechtmäßig war.
  • 2016 sollte Kerem Schamberger in Bayern aufgrund einer Überprüfung durch den „Verfassungsschutz“ wegen seiner Funktion als Sprecher der DKP sowie als Mitglied von SDAJ, Roter Hilfe und VVN seine Doktorandenstelle an der Münchner Universität nicht antreten dürfen,
  • 2017 sollte Benedikt Glasl, ebenfalls in Bayern, nicht Lehrer-Referendar werden,
  • ...

Diese Liste lässt sich fortsetzen und hinzu gekommen sind in den letzten 2 Jahren Maßnahmen des Staates, die ganze Gruppen von Menschen treffen, in dem durch Entzug der Gemeinnützigkeit Vereinen die finanzielle Grundlage entzogen wird. Das angeblich nicht gemeinnützige zu große "politische Engagement" von attac, Campact und der bereits oben erwähnten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes trifft Hunderttausende Unterstützer dieser Vereinigungen und macht ihnen deutlich, dass sie sich am (linken) "Rand der freiheitlich demokratischen Grundordnung" befinden.

Zurück zur Berufsverbotspolitk vor 40 Jahren

Kann man bei den Ermittlungsverfahren gegen 150.000 bis 200.000 Personen im Zeitraum von 1951 bis 1968 noch "entschuldigend" feststellen, dass die Staatsanwaltschaften und Gerichte damals großteils noch aus ehemaligen Nazis bestanden, so wurden selbst gewaltlose Proteste gegen die damalige höchst umstrittene Wiederaufrüstung und Atombewaffnung als kriminelle Delikte verfolgt.

Die Überwachung und Verfolgung von Andersdenkenden nach dem "Radikalenerlass" der bundesdeutschen Ministerpräsidenten 1972 brachte eine neue Qualität. Bewerber, aber auch bereits Angestellte oder Beamten des öffentlichen Dienstes wurden auf ihr Verhältnis zur "freiheitlich demokratischen Grundordnung" untersucht. Mitunter war es schon ausreichend, mit "Kommunisten" zusammen zu leben, eine Mitgliedschaft bei

  • DKP
  • KBW (Kommunistischen Bund Westdeutschland)
  • SHB (Sozialistischen Hochschulbund)
  • VVN/BdA
  • DFG-VK (Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigten KriegsdienstgegnerInnen)
  • VDJ (Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen)
  • ...

war in jedem Fall das Ende der beruflichen Karriere - und das traf auch Lokführer und Briefträger, obwohl die ihre Tätigkeit kaum zur "Indoktrination" anderer einsetzen konnten.

Das Orakel für die persönliche Zukunft der Menschen lag beim "Verfassungsschutz" (VS). Der Radikalenerlass sah zwingend eine so genannte Regelanfrage bei den VS-Behörden des Bundes und der Länder vor. Ähnlich der STASI in der DDR kam damit einem Geheimdienst die Funktion einer Auswahl- und Einstellungsbehörde zu. Das führte zu

  • ca. 3,5 Mio. Regelanfragen an den „Verfassungsschutz“,
  • zu etwa 11.000 Berufsverbote-Verfahren und
  • etwa 1.500 konkreten Berufsverbote-Maßnahmen
  • sowie zu 2.200 Disziplinarverfahren,
  • ca. 1.250 Nichteinstellungen und
  • mehr als 250 Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst.

Rolf Gössner kann nach 40 Jahren Auseinandersetzung mit der "Beobachtung seines Lebens" durch den Geheimdienst auch über die oft lächerlichen nichtssagenden Aktenvermerke berichten, die im Endergebnis ein ganzes Leben zerstören können. Das liest sich, wenn nicht geschwärzt, so

  • Als besonderes Hobby sei erwähnt, daß er früher ein Karl-May-Leser war.“
  • „Sie raucht stark (sogar Tiparillos).“
  • „Hat zwei Kinder, davon eine unerwünschte Tochter.“
  • Kleidet sich zwar kontrastreich und manchmal zu jung, kauft aber stets preiswerte Kleidung.“

Dagegen läutete das "Parken des Autos in der Nähe eines Versammlungsortes kommunistisch infiltirierter Gruppen" schon das Ende der Karriere ein.

Wie "Blitzkrieg" und "Kindergarten" ging "Le Berufsverbot" damit in andere Sprachen ein. Erst 1995 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Berufsverbotsfall der Studienrätin Dorothea Vogt fest, dass eine Gesinnungsüberprüfung gegen die Menschenrechte verstößt. Aber auch noch heute kämpfen Betroffene um Wiedergutmachung und Ausgleich für erlittene Einkommensverluste.

Merken wir uns als Fazit: Das Ziel sind weniger die (immerhin einige Tausend) Betroffenen, es geht um ein Klima der Angst in der Gesellschaft, was dazu führen soll, dass man sich von "Andersdenkenden" schon vorher distanziert und an "die Mehrheit" anpasst.

Mehr dazu bei https://ilmr.de/2020/berufsverbote-politik-der-1970er-80er-jahre-und-kein-ende-ein-dunkles-nicht-aufgearbeitetes-kapitel-bundesdeutscher-geschichte


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Erstellt: 2020-01-27 10:23:38
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