05.06.2019 Gutachten geben Flüchtlingsrat recht

Grundrecht auf Schutz der Wohnung auch in Flüchtlingsunterkünften

Genau vor einer Wochen hatten wir über die illegale Praxis der Polizei berichtet, ohne Durchsuchungsbeschluss in Wohnungen von Geflüchteten in Sammelünterkünften einzudringen. Nun hat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) drei Gutachten zu diesem Thema an die Betreiber der Unterkünfte und an die Berliner Polizei geschickt, die die Rechtsauffassung des Berliner Flüchtlingsrat untermauern.

Zum Streit im Senat um das Grundrecht auf Schutz der Wohnung in Flüchtlingsunterkünften:
Endlich wird geltendes Recht bei Abschiebungen durchgesetzt!

Vergangene Woche hat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) drei von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (SenIAS) erstellte juristische Gutachten zum Grundrecht auf Schutz der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz an die Betreiberinnen von Sammelunterkünften und an den Berliner Polizeipräsidenten verschicken lassen. Dies hat für Unmut bei Innenverwaltung und Polizei gesorgt, da in den Stellungnahmen auch auf die Notwendigkeit eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses bei Abschiebungen aus Sammelunterkünften hingewiesen wird.

Die mediale Darstellung des Innensenators und der Berliner Polizei, Senatorin Breitenbach würde mit der Anweisung an Betreiberinnen, bei Abschiebungen auf einem Durchsuchungsbeschluss zu bestehen, geltendes Recht torpedieren, ist hanebüchen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales referiert lediglich die von den zuständigen Berliner Obergerichten bestätigte Rechtslage, gegen die bisher bewusst von Polizei und Innensenat verstoßen wurde.

Der Flüchtlingsrat hat wiederholt darauf hingewiesen[1], dass Innenverwaltung und Polizei, wenn sie ohne Durchsuchungsbeschluss gewaltsam in Wohnungen oder Wohnräume in Sammelunterkünften zur Festnahme von Geflüchteten zu deren Abschiebung eindringen, Artikel 13 des Grundgesetzes verletzen und die Maßgaben der Berliner Gerichte dazu ignorieren.[2]  Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und das Kammergericht Berlin haben unmissverständlich klargestellt, dass sich beim Eindringen in Privaträume zum Zwecke der Festnahme zur Abschiebung rechtlich um eine „Durchsuchung“ handelt, für die eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses bedarf. Eine gegenteilige Rechtsprechung höherer Gerichte gibt es nicht. Rechtswidrig ist das Vorgehen der Polizei im Übrigen auch, weil die Durchsuchungen zwecks Festnahme unter Verstoß gegen § 36 Abs. 3 ASOG Berlin meist zur Nachtzeit stattfinden.

Es ist mehr als bedauerlich, dass die Innenverwaltung in Kenntnis der mehr als ein Jahr alten Entscheidungen der beiden Berliner Obergerichte die rechtswidrige Vorgehensweise der Polizei nicht von sich aus, sondern erst auf Hinweis der Senatssozialverwaltung beendet hat.

„Die im Grundgesetz verankerten Grundrechte schützen die Individuen gegenüber der Staatsgewalt. Sie sind unveräußerlich. Wer gegen geltendes Recht unliebsameGruppen wie abgelehnte Asylsuchende bewusst von diesen Rechten ausschließt, weil sonst Abschiebungen weniger praktikabel seien, der stellt nicht nur das Grundgesetz, sondern unseren Rechtsstaat als solchen infrage“, sagt Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin.

Wir begrüßen die Initiative der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales ausdrücklich, sich für die Einhaltung der Grundrechte Geflüchteter in Berlin stark zu machen und fordern den Berliner Innensenator und die Berliner Polizei auf, sich nicht von rechtspopulistischen Forderungen nach mehr Abschiebungen leiten zu lassen, und sich ausnahmslos an das geltende Recht zu halten.

Hintergrundinformation zur Rechtslage

Die Wohnung ist unverletzlich - auch in Sammelunterkünften für Geflüchtete. Rechtliche Prüfung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales liegt vor. Grundrecht auf Schutz der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz gilt auch für BewohnerInnen von Sammelunterkünften für Geflüchtete.

Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (SenIAS) hat über das LAF drei rechtliche Stellungnahmen (Wortlaut siehe weiter unten!)zum Grundrecht auf Privatsphäre und Schutz der Wohnung nach Art. 13 Grundgesetz an die vom LAF beauftragten Betreiber von Sammelunterkünften in Berlin und an den Berliner Polizeipräsidenten verschicken lassen. Die Schreiben befassen sich mit den Rechten der BewohnerInnen gegenüber MitarbeiterInnen der Sammelunterkünfte, der Security und der Polizei. Der Schutz der Wohnung nach Art. 13 Grundgesetz gilt demnach auch für die BewohnerInnen von Sammelunterkünften unabhängig von Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus und (wegen der Unterbringung nach AsylG oder ASOG usw.) fehlendem Mietvertrag. Die BetreiberInnen wurden angewiesen, die Grundrechte der BewohnerInnen entsprechend zu respektieren und zu beachten.

Die Rechtsgutachten weisen unter anderem auch auf die Notwendigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses hin, den die Ausländerbehörde bzw. Polizei bei Abschiebungen vorlegen muss. Dies ergibt sich insbesondere aus Entscheidungen des Berliner Oberverwaltungsgerichts und des Berliner Kammergerichts.

Berlins Innensenator meinte demgegenüber scheinbar, dass die Polizei – entgegen der eindeutigen Rechtslage und den Entscheidungen der obersten Berliner Gerichte – weiterhin zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne Durchsuchungsbeschluss in Flüchtlingsunterkünfte und -wohnungen zur Durchführung von Abschiebungen eindringen dürfte. Um den dazu rechtlich zwingend nötigen Durchsuchungsbeschluss bräuchte die Polizei sich garnicht erst zu bemühen. Wenn ein Innensenator allerdings meint, die Polizei bräuchte sich bei der Durchführung von Abschiebungen nicht an Recht und Gesetz halten, dann gerät der Rechtsstaat in Gefahr.

Die Links zu den drei Rechtsgutachten:

  1. Die Betreiber von Sammelunterkünften haben das Grundrecht der BewohnerInnen nach Art. 13 GG auf Schutz der Wohnung zu achten
    Die Betreiber wurden angewiesen, das Grundrecht der Bewohner nach Art. 13 GG auf Schutz der Wohnung und auf Privatsphäre zu achten. Bewohnerzimmer dürfen sie – auch im Falle von Mehrbettzimmern – nur in Anwesenheit und mit Zustimmung der Bewohner betreten, dies gilt auch für Routinebegehungen. Ausnahmen sind nur bei Gefahr im Verzug denkbar. Foto und Videoaufnahmen in den Bewohnerzimmern sind grundsätzlich unzulässig. Ein Verstoß des Betreibers gegen diese Grundsätze stellt eine Vertragsverletzung ggü. dem LAF dar: http://fluechtlingsrat-berlin.de/senias_betreiber_muessen_schutz_der_wohnung_achten_art_13gg/
  2. Die Polizei braucht einen Durchsuchungsbeschluss für Abschiebungen aus Sammelunterkünften
    Die Betreiber von Sammelunterkünften werden informiert, dass aufgrund des Grundrechts der BewohnerInnen nach Art. 13 GG auf Schutz der Wohnung die Polizei nach der Rechtsprechung der obersten Berliner Gerichte (OVG Bln 19.2.2018 – 6 L 14.18, KG Bln 20.3.2018 – 1 W 51/18, beide unter http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de) deren Wohnräume zwecks Auffinden und Festnahme einer Person zu deren Abschiebung nur mit einem Durchsuchungsbeschluss betreten darf.
    Gleiches gilt sinngemäß auch für das Betreten der Gemeinschaftsflächen von Sammelunterkünften. Nur wenn der Betreiber dem Betreten der Gemeinschaftsflächen und _alle_ Bewohner des betreffenden Zimmers dem Betreten des Zimmer durch die Polizei freiwillig zustimmen, ist ein Durchsuchungsbeschluss ggf. entbehrlich (Hinweis: Die Security der Unterkunft unterliegt insoweit wie auch ansonsten den Weisungen des Heimbetreibers, auch wenn die Security direkt vom LAF beauftragt wurde): http://fluechtlingsrat-berlin.de/senias_art13_gg_polizei_braucht_durchsuchungsbeschluss_fuer_abschiebungen/
  3. MitarbeiterInnen von Sammelunterkünften sind nicht verpflichtet, der Polizei bei Abschiebungen Auskunft über das konkrete Zimmer einer Person zu erteilen
    Die Mitarbeiter sind nach den geltenden Gesetzen lediglich verpflichtet, gegenüber der Polizei auf Nachfrage ihre eigenen Personalien zutreffend anzugeben. Zu Auskünften über dritte Personen (z.B. ob und wo sie sich aufhält, Angabe der Zimmernummer) sind sie anlässlich von Abschiebungen rechtlich nicht verpflichtet. Die Verweigerung der Auskunft ist nicht strafbar. Etwas anderes gilt ggf. nur für die MitarbeiterInnen des landeseigenen Betriebs für Flüchtlingsunterkünfte LFG, der insoweit als öffentliche Stelle anzusehen ist, weshalb die dortigen MitarbeiterInnen gemäß § 87 AufenthG (sog. Denunziationsparagraf) auch zu entsprechenden Auskünften an die Polizei verpflichtet sein dürften. http://fluechtlingsrat-berlin.de/senias_betreiber_haben_keine_pflicht_zu_auskuenften_an_polizei_bei_abschiebungen/


[1] Zuletzt am 21.05.2019: http://fluechtlingsrat-berlin.de/presseerklaerung/21-05-2019-70-jahre-grundrechte-aber-nicht-fuer-gefluechtete/

[2] OVG Berlin 19.2.2018 - 6 L 14.18, Kammergericht Berlin 20.03.2018 - 1 W 51/18, beide in www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de; ebenso kürzlich sehr anschaulich, für Berlinaber nicht verbindlich auch VG Hamburg 15.02.2019 - 9 K 1669/18 http://fluechtlingsrat-berlin.de/vg_hh_gg13/ .

Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

Mehr dazu bei http://fluechtlingsrat-berlin.de/senias_betreiber_haben_keine_pflicht_zu_auskuenften_an_polizei_bei_abschiebungen/
 


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Erstellt: 2019-06-05 08:38:38
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