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Berlin schiebt wieder ab - mitten in der Nacht in Corona-Risikogebiete
Wie uns der Flüchtlingsrat Berlin in seiner Mitteilung vom 30.07.2020 schreibt, hat die Berliner Polizei wieder in der Nacht Menschen aus ihren Wohnungen geholt und nach Moldawien abgeschoben.
Am 15. Juli 2020 holte die Berliner Polizei bis zu 200 Menschen, darunter zahlreiche Familien mit kleinen Kindern, um ca. 3 Uhr nachts aus dem Bett, um sie noch am selben Tag per Sammelcharter in die Republik Moldau (Moldawien) abzuschieben.
Moldawien meldet derzeit etwa 2000 registrierte Neuinfektionen wöchentlich – bei einer mit 3,5 Mio. ähnlichen Einwohnerinnenzahl wie Berlin. Die Zahl der aktiv infizierten Fälle soll bei 6250 liegen (Berlin: 235 Neuinfektionen/Woche, 333 aktive Fälle).
Als Flüchtlinge nach Berlin kommen aus Moldawien derzeit vor allem Angehörige der unter massiver Diskriminierung und Ausgrenzung in allen gesellschaftlichen Bereichen leidenden Roma-Minderheit. Über die Hälfte der Roma in Moldawien hat keinen Zugang zur staatlichen Krankenversicherung. Die Erwerbsquote ist halb so hoch wie bei der übrigen Bevölkerung. Massive Probleme bestehen beim Zugang zu medizinischer Versorgung, Wohnungen und Schulbildung.
Eine am 15.7. nach Moldawien abgeschobene Frau befand sich zum Zeitpunkt der Abschiebung wegen einer Krebserkrankung in einer noch nicht abgeschlossenen Chemotherapie. Da sie im Rahmen der Krebsbehandlung einen künstlichen Darmausgang bekommen hatte, trug sie gut sichtbare Stomabeutel am Bauch. Spätestens im Moment der Abschiebung hätte die Polizei die Rückführung abbrechen müssen. Es ist völlig unklar, wie die Frau in Moldawien weiter behandelt werden kann, und wie sie dort an Stomabeutel kommen kann. Zudem gehört sie wegen der Chemotherapie zu den durch Corona besonders gefährdeten Risikopersonen.
Mehrere am 15.07. nach Moldawien abgeschobene Menschen hatten beim LAF eine Erklärung über ihre freiwillige Ausreise unterzeichnet und wollten in Kürze ausreisen. Auch sie wurden am 15.07. abgeschoben.
Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin dazu: „Es stellt sich die Frage, ob das von r2g propagierte Instrument der freiwilligen Rückkehr überhaupt ernst gemeint ist, wenn entgegen entsprechender Zusagen dann doch zwangsabgeschoben wird.“
Die Abschiebung nach Moldawien wurde in alleiniger Verantwortung des rot-rot-grünen Berliner Senats geplant und durchgeführt. Der Flüchtlingsrat fordert den Senat aus Anlass der fragwürdigen Abschiebung auf, auf Abschiebungen in Corona-Risikogebiete generell zu verzichten. Dies hat erst recht zu gelten, wenn es sich um Angehörige gesundheitlich besonders gefährdeter Risikogruppen handelt oder um Menschen, die wie Roma in Moldawien in ihrem Herkunftsland absehbar keinen verlässlichen Zugang zum Gesundheitssystem haben.
Wir verurteilen zudem das Vorgehen der Berliner Polizei, die Menschen rechtswidrig zur Nachtzeit aus ihren Betten zu holen und festzunehmen. Das geplante nächtliche Eindringen in Unterkünfte zur Durchführung von Abschiebungen verstößt gegen § 58 Abs. 7 AufenthG wie auch gegen§ 36 ASOG Berlin. Wir fordern Innensenator Geisel auf, das rechtswidrige nächtliche Eindringen der Berliner Polizei in Wohnungen und Unterkünfte zu unterbinden.
Hintergrund
Im r2g Koalitionsvertrag ist die Rede von einem Paradigmenwechsel bei Abschiebungen: "Bezogen auf die Beendigung des Aufenthaltes will die Koalition einen Paradigmenwechsel. An die Stelle einer reinen Abschiebepolitik soll die Förderung einer unterstützen Rückkehr treten. ........Rückführungen in Regionen, in denen die Rückführungen aus humanitären Gründen nicht tragbar sind, wird es nicht mehr geben. Leider ist die Realität eine andere. Immer wieder erhalten wir Berichte über Willkür, Gewalt und Rechtswidrigkeit bei Abschiebungen aus Berlin. Regelmäßig werden Erwachsene und Kinder zur Abschiebung mitten in der Nacht aus ihren Betten geholt, obwohl § 58 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz das verbietet:
Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.
Es ist dennoch gängige Praxis der Berliner Polizei, Erwachsene und Kinder mitten in der Nacht aus ihren Wohnheimen und Wohnungen abzuholen. Diese Praxis verstößt gegen § 58 AufenthG sowie gegen § 36 ASOG Berlin iVm § 104 StPO.
„Während in Berlin zu Coronazeiten immer wieder die Solidarität beschworen wird, konnte es dem rot-rot-grünen Senat nicht schnell genug gehen, wieder mit den Abschiebungen zu beginnen. Dabei wird auch in Pandemierisikogebiete wie den Westbalkan oder Moldawien abgeschoben, obwohl dort für die Betroffenen die medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist und Auswärtiges Amt und RKI vor Reisen dorthin warnen“ so Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin.
Bereits im Juni 2020 gab es aus Berlin eine Sammelabschiebung nach Georgien und eine nach Serbien.
Der Flüchtlingsrat fordert in Zeiten einer Pandemie, die uns alle betrifft, dass der Senat seinen Worten der Solidarität Taten folgen lässt und auf Abschiebungen verzichtet, so lange die Coronapandemie weltweit grassiert. Erst recht ist auf gesetzwidrige Festnahmen zur Nachtzeit, auf Abschiebungen in Corona-Risikogebiete, auf Abschiebungen von Kranken, von Angehörige gesundheitlich besonders gefährdeter Risikogruppen sowie von Menschen, die in ihrem Herkunftsland keinen gesicherten Zugang zum Gesundheitssystem haben zu verzichten.
Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Aktion Freiheit statt Angst ist seit Jahren Mitglied im Flüchtlingsrat Berlin ...
... und unser Transpi zum 10 Geburtstag von FRONTEX ist inzwischen schon fast wieder 10 Jahre alt.
Mehr dazu bei https://www.fluechtlingsrat-berlin.de
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Tags: #Abschiebung #Flucht #Roma #Moldawien #Berlin #r2g #Senat #Polizei #Corona
Created: 2020-07-31 09:30:04
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