Bundesfinanzhof hält attac für "zu politisch"
Attac hat die Auseinandersetzung um seine Gemeinnützigkeit nach 6 Jahren erneut verloren. Das Urteil des Bundesfinanzhofs ist ein Maulkorb für die gesamte kritische Zivilgesellschaft: Gemeinnützige Organisationen sollen sich aus der politischen Debatte heraushalten.
Wie verträgt sich so ein Urteil mit der Abgabenordnung, die für attac, wie auch für unseren Verein die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens nach §52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO vorschreibt. Dort steht:
Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 sind als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen
Nr. 24: die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes; hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind;
Insbesondere die Arbeit von attac, der "Association pour un Tax Tobin a Aide des Citoyens", ist doch eine das demokratische Staatswesen wesentlich verbessernde durch die Erhöhung der Staatseinnahmen durch die Besteuerung von Finanztransaktionen, die in keinem Fall der Allgemeinheit dienen. Gerade Attac setzt sich als Verein unbestreitbar selbstlos für das Wohl der Allgemeinheit ein – übrigens im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen, Organisationen und Stiftungen, die in ähnlichen Politikfeldern eigennützig aktiv sind und weiterhin unbeanstandet als gemeinnützig gelten.
Das sieht der Bundesfinanzhof (BFH) anders, er stellt fest, dass die "Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung [...] keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt." Das ist mehr als ein Maulkorb, d.h. praktisch, dass nur Einzelpersonen oder Parteien eine politische Meinung kund tun dürfen, nicht aber Vereinigungen von Bürgern, wenn sie denn als gemeinnützig gelten wollen.
Die Auslegung der Abgabenordnung durch den BFH ist tendenziös und falsch. Sie widerspricht dem, was sich an zivilgesellschaftlichem Engagement und demokratischer Beteiligung von BürgerInnen in den vergangenen Jahrzehnten in unserer Gesellschaft etabliert hat und was mit gutem Grund bisher immer als gemeinnützig galt.
Wir sehen in dem Urteil den Versuch, einer finanzmarkt- und kapitalismuskritischen Organisation Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Damit wird ein Präzedenzfall geschaffen, der zukünftig die Arbeit vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen massiv beeinträchtigen und verändern kann. Attac stellt dazu fest:
Nach fünf Jahren juristischer Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac hat der Bundesfinanzhof (BFH) ein verheerendes letztinstanzliches Urteil gesprochen. Der BFH setzt den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger als das Hessische Finanzgericht, das die Gemeinnützigkeit von Attac 2016 bestätigt hatte. Das Hessische Finanzgericht soll nun nach den Vorgaben des BFH ein anderes Urteil sprechen.
Daher ist absehbar, dass Attac endgültig die Gemeinnützigkeit verliert. Außerdem müssen nun alle Organisationen der Zivilgesellschaft, die Politik begleiten, kritisieren und Alternativen vorschlagen, um ihre Gemeinnützigkeit fürchten.
Nun wird es in einem nicht abschätzbaren Zeitraum, ein letztgültiges Urteil des Finanzgerichts Kassel geben, das sich in der rechtlichen Definition der Satzungszwecke nun an die Vorgaben des BFH halten muss. Das lässt nicht Gutes erwarten.
Unterstützung für attac ist auf der Webseite des Vereins durch Spenden möglich, eine Unterschriftenaktion für attac hat Campact gestartet. Beachtet bitte, dass ihr nach der Unterschrift auf die Spendenseite von Campact geleitet werdet. Die Spenden braucht aber attac.
Mehr dazu bei https://www.attac.de/kampagnen/jetzt-erst-recht/jetzt-erst-recht/
und https://www.aktion-freiheitstattangst.org/de/articles/5441-20160309-attac-muss-gemeinnuetzig-bleiben.htm
Kommentar: RE: 20190307 Gemeinwohl ist politisch!
Ich habe es schon diverse Male gesagt: die Gemeinnützigkeit ist ein Konzept aus dem Steuerrecht, mit anderen Worten ein Gutzi vom Staat: wenn sich ein Verein für bestimmte Zwecke engagiert, dann dürfen die Mitglieder ihre Beiträge und Spenden von der Steuer absetzen. Mehr heißt das erstmal nicht.
Wer konnte damit rechnen, dass ein Staat auf die Idee kommen könnte, so ein Gutzi für politische Zwecke einzusetzen...? :-o
Es ist aber nur scheinbar ein Maulkorb, denn in unserem Land darf immer noch jeder sagen, was er will, auch jeder Verein -- nur dass der Staat sich dann weigern könnte, einem Verein dieses steuerliche Leckerli zuzuwerfen. Wobei das eine natürlich nichts mit dem anderen zu tun hat. Reiner Zufall. Is klar.
That said: die bereits anerkannte Gemeinnützigkeit zu verlieren ist eine ernsthafte finanzielle Bedrohung (das Vereinsvermögen ist möglicherweise weg und zusätzlich drohen Steuernachzahlungen!), insofern: wer kann und will sollte in Betracht ziehen, attac finanziell beizustehen.
Th., 07.03.2019 10:07
RE: 20190307 Gemeinwohl ist politisch!
Attac reicht der Union nicht - auch weitere kritische Organisationen sollen ihre Gemeinnützigkeit verlieren.
"Attac ist erst der Anfang", droht die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und fragt: "Wer ist als nächstes dran?" Für Joachim Pfeiffer sind es Campact und die Deutsche Umwelthilfe - beiden will der CDU-Politiker die Gemeinnützigkeit entziehen. Der Wirtschaftsflügel der Union hat es schon länger auf gemeinnützige Vereine abgesehen. Zumindest auf die, deren Anliegen er nicht teilt.
Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik vertritt die eigennützigen Interessen der Rüstungsindustrie. Und trotzdem: Sie ist gemeinnützig und darf Spendenbescheinigungen ausstellen. Attac darf das jetzt nicht mehr. Eine Rechtslage, die das möglich macht, muss dringend überarbeitet werden.
Ve., 07.03.2019 17:15
RE: 20190307 Gemeinwohl ist politisch!
Liebe Freundinnen und Freunde von Attac, liebe Mitglieder,
fünf lange Jahre hat das Attac-Netzwerk um seine Gemeinnützigkeit gestritten, nun haben die Richter am Bundesfinanzhof (BFH) ein verheerendes Urteil gesprochen. Der BFH setzt darin den Rahmen für das politische Engagement gemeinnütziger Organisationen sehr viel enger, als es das Hessische Finanzgericht getan hat. Das Gericht in Kassel hatte 2016 klar entschieden, dass das Attac-Netzwerk gemeinnützig ist. Auch wenn der Rechtsweg noch nicht zu Ende beschritten ist, ist absehbar, dass Attac den Status der Gemeinnützigkeit so schnell nicht wiederbekommt. Aufgeben ist selbstverständlich keine Option für uns. Wenn es sein muss werden wir auch vor dem Bundesverfassungsgericht für unsere Gemeinnützigkeit kämpfen.
Von dem Urteil ist aber nicht allein Attac betroffen; viele andere gemeinnützige Organisationen der Zivilgesellschaft, die Politik kritisch begleiten und Alternativen vorschlagen, fürchten nun um ihren Status. Wir brauchen dringend ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht, das nicht mehr dazu genutzt werden kann, selbstloses Engagement für eine gerechte Gesellschaft und das Allgemeinwohl klein zu halten. Für eine solche Gesetzesreform kämpft Attac gemeinsam mit mehr als 80 weiteren Vereinen und Stiftungen in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung".
Attac Bundesbüro, Münchener Str. 48, 60329 Frankfurt/M., 08.03.2019 16:59
RE: 20190307 Gemeinwohl ist politisch!
zivilgesellschaftlichen organisationen wird dadurch geld und einflussmöglichkeiten entzogen, während lobbyorganisationen der wirtschaft weiterhin alle ihre kosten von der steuer absetzen können.
das verstärkt das ungleichgewicht bei der politikgestaltung.
Al., 08.03.2019 13:08
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Erstellt: 2019-03-07 08:46:34 Aufrufe: 1284
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