Es reicht - Fachlichkeit statt Diffamierung!
Die Pressemitteilung des Flüchtlingsrats Berlin hat uns wieder einmal gezeigt, dass die Menschenrechte insbesondere, wenn es um Flüchtlinge geht, immer mehr eingeschränkt werden. Gerade bei Kindern und der Zusammenführung von Familien sollte die Menschlichkeit Vorrang haben.
Doch weit gefehlt, auch wenn seit dem 1.8. eine beschränkte Anzahl von Familienzusammenführungen genehmigt werden sollen, so ist die Realtität immer noch schwierig. Der Gipfel ist jedoch, dass die Menschen, die sich berufsbedingt oder ehrenamtlich für die Geflüchteten einsetzen, diffamiert und in ihrer Arbeit behindert werden. Der Umgang mit den Seenotrettern im Mittelmeer war nur ein Vorgeschmack auf die Politik des Verdrängens und Wegschieben.
Appell von Fachverbänden der Jugendhilfe, Freier Wohlfahrt und Menschenrechtsorganisationen
Es reicht - Fachlichkeit statt Diffamierung!
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind in erster Linie Kinder, ihr Schutz und ihre Förderung obliegt der Kinder- und Jugendhilfe. Jede rechtliche Konstruktion, die das in Frage stellt, jede Forderung, die ordnungspolitische Interessen über die Rechte von Kindern stellt, lehnen wir ab. Zunehmend stellen einige Politikerinnen und Journalistinnen Schutzsuchende pauschal als Kriminelle dar und scheuen sich auch nicht, Kindern und Jugendlichen, die allein geflüchtet sind, niedere Beweggründe zu unterstellen. Auch deshalb dreht sich der öffentliche Diskurs immer stärker um eine nur scheinbar notwendige verstärkte Ordnungspolitik. Dass geflüchtete Minderjährige Kinder sind, deshalb besonderen Schutz brauchen und Rechte haben, wird nicht mehr als rechtliche Verpflichtung und gesellschaftsvertragliche Selbstverständlichkeit gesehen, sondern als Minderheitenmeinung diskreditiert. Wir wehren uns dagegen und setzen uns für Fachlichkeit und rechtsbasierte Diskussionen und Entscheidungen ein.
Die Kinder- und Jugendhilfe ist als integratives und inklusives Konzept für alle Kinder und junge Menschen zuständig und unterstützt diese bei ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten. Dabei tritt sie Benachteiligungen entgegen und fördert die Chancengleichheit für alle Kinder und jungen Menschen. Konstruktionen von Fremdheit und Exklusion haben in der Kinder- und Jugendhilfe keinen Platz- im Gegenteil diversifizieren sich ihre Strukturen, um sich der Vielfalt ihrer Adressat*innen zu öffnen. Wir werden nicht zulassen, dass geflüchtete junge Menschen ausgeschlossen werden! Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aber auch geflüchtete junge Volljährige sind ein Teil der Zielgruppe der Kinder- und Jugendhilfe. Dieser Fortschritt, für den sich viele engagierte Menschen jahrelang eingesetzt und gestritten haben, droht jetzt durch die Einführung der sogenannten AnKER-Zentren, durch Änderungen bei den Verfahren zur Alterseinschätzung wie bspw. in Baden-Württemberg und ggf. auch bei einer möglichen SGB VIII-Reform wieder rückgängig gemacht zu werden.
Der Alltag der Kinder- und Jugendhilfe zeigt immer wieder aufs Neue, dass eine erfolgreiche Integration der jungen Menschen möglich ist. Das gelingt in erster Linie durch die Bemühungen der Jugendlichen selbst, aber auch durch das Engagement der Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, der beteiligten Verwaltungen und Organisationen und aufgrund der hohen fachlichen Qualität und Nachhaltigkeit der Jugendhilfe, wie bereits in Studien dargelegt. Allerdings werden deren Erfolge in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen durch den momentanen politischen Diskurs und die polarisierende öffentliche Debatte in Frage gestellt und schlecht gemacht: Die kriminellen Taten einiger weniger junger Flüchtlinge überlagern dabei die Wirklichkeit und die Erfolge der großen Mehrheit. Das Fehlverhalten Einzelner rechtfertigt und legitimiert keine verleumdenden Diffamierungen einer ganzen Gruppe oder gar ihren Ausschluss aus staatlicher Fürsorge. Wer eine strafbare Handlung begeht, kommt vor Gericht. Wer zufälligerweise aufgrund rechtlicher Definitionen zum gleichen Personenkreis zählt, darf nicht aufgrund der Taten anderer beurteilt werden.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kommen nach Deutschland, weil sie vor individuellen Bedrohungen, durch Krieg, Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung, Zwangsrekrutierung, religiöser Verfolgung, Zwangsprostitution, sexualisierter oder politischer Gewalt oder vor Perspektivlosigkeit fliehen. Wie andere Kinder und Jugendliche, die von der Jugendhilfe unterstützt werden, haben sie schwierige Lebenswege hinter sich und große Herausforderungen vor sich. Ihnen allen ist gemein, dass sie im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe allein nach ihrem individuellen Bedarf mit Blick auf die passende Unterstützung beurteilt werden. Rechte, Bedürfnisse und Potentiale von Kindern und Jugendlichen wahr und ernst zu nehmen, ist Grundlage, damit ihr Weg in ein eigenverantwortliches Leben gelingen kann. Für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrungen gilt nichts anderes. Diesen Weg wollen und werden wir deshalb weiter mit ihnen beschreiten.
Gemeinsam fordern wir Sie auf, sich bei den angekündigten Gesetzesvorhaben und Änderungen in der Praxis für Sachlichkeit und fachlich basierte Diskussionen einzusetzen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gehören in die Kinder- und Jugendhilfe. Sie dürfen nicht zum Spielball kurzfristiger politischer Machtinteressen gemacht werden.
Liste der unterzeichnenden Organisationen
1. Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)
2. Amadeu Antonio Stiftung
3. Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe
4. Ärzte der Welt
5. AWO Bundesverband e. V.
6. borderline-europe - Menschenrechte ohne Grenzen e. V.
7. Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V
8. Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V.
9. Bundesnetzwerk Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe
10. Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen e.V.
11. Careleaver e.V.
12. Der Paritätische Gesamtverband e.V.
13. Deutsche Gesellschaft für ambulante allgemeine Pädiatrie
14. Deutscher Bundesjugendring
15. Deutscher Caritasverband e.V.
16. Deutscher Frauenrat
17. Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V.
18. Deutsches Kinderhilfswerk
19. Diakonie Deutschland
20. ECPAT Deutschland e.V.
21. Evangelischer Erziehungsverband e.V.
22. Flüchtlingsrat Hessen
23. Flüchtlingsrat Berlin
24. Flüchtlingsrat Brandenburg
25. Flüchtlingsrat Bremen
26. Flüchtlingsrat Baden-Württemberg
27. Flüchtlingsrat Bayern
28. Flüchtlingsrat Niedersachsen
29. Flüchtlingsrat NRW
30. Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein
31. Flüchtlingsrat Sachsen
32. Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt
33. Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern
34. Flüchtlingsrat / AK Asyl Rheinland-Pfalz
35. Flüchtlingsrat Saarland
36. Flüchtlingsrat Hamburg
37. Flüchtlingsrat Thüringen
38. Institut für Sozial- und Organisationspädagogik - Uni Hildesheim
39. Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen e.V.
40. Jugendliche ohne Grenzen
41. JUMEN e.V. - Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland
42. Kindernothilfe
43. Kompetenzzentrum Pflegekinder
44. Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e. V.
45. National Coalition Deutschland - Netzwerk zur Umsetzung der UN - Kinderrechtskonvention
46. Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e.V.
47. Nürnberger Menschenrechtszentrum e.V.
48. Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.
49. Outlaw. die Stiftung
50. Pro Asyl
51. Republikanischer Anwaltsverein
52. terre des hommes Deutschland e.V.
53. Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.
54. Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V.
Mehr dazu bei http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/
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Erstellt: 2018-08-24 13:07:39 Aufrufe: 1399
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