NSU-Opfer verklagt das Land Thüringen
Nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts in Thüringen hat der Stuttgarter Rechtsanwalt Khubaib Ali Mohammed für seinen Mandanten Ismail P. beim Landgericht Erfurt eine sogenannte Amtshaftungsklage (AZ: 10 O 1083/14) gegen das Land Thüringen, vertreten durch Innenminister Jörg Geibert, eingereicht. In der 44-seitigen Klage wirft er den Behörden "individuelles sowie systemisches Versagen" vor.
Der Untersuchungbericht hatte festgestellt, bei der Suche nach den drei mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe derart viele falsche Entscheidungen gefällt und Standards missachtet worden, dass der "Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens des Auffindens der Flüchtigen" naheliege.
Der Bericht wirft den Verfassungsschutzämtern sogar "mittelbare Unterstützung" und "Begünstigung" rechtsextremer Strukturen vor. Als Beispiel nennt der Bericht den Gründer des rechtsextremen "Thüringischen Heimatschutzes" (THS), Tino Brandt, der als V-Mann tätig war. An ihn seien "neben Sachmitteln übermäßig hohe Prämien ausgereicht" worden. Der Leiter des Verfassungsschutzes in den 90-er Jahren hatte auf einer öffentlichen Veranstaltung in Jena im Januar 1999 ausgeführt, man "müsse Verständnis für rechts eingestellte Jugendliche haben, da das Dritte Reich nicht nur schlechte Seiten gehabt habe."
Die Mitglieder des Ausschusses stellten fest, dass ein V-Mann des Bundesamtes als Kontakt auf einer Adressliste von NSU-Mitglied Uwe Mundlos gestanden habe. Was der Verfassungsschutz von diesem V-Mann erfahren habe, sei ebenso wenig aufzuklären gewesen wie andere offene Fragen. "Das Bundesamt verweigerte die erbetene Amtshilfe weitgehend", schreiben die Abgeordneten.
Mehr dazu bei http://www.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-opfer-aus-der-koelner-keupstrasse-verklagt-thueringen-a-987113.html
und http://www.tagesschau.de/inland/nsu-thueringen-uausschuss-101.html
Update 07.09.2014: Noch 3 aktuelle Links zum Thema
http://www.focus.de/politik/deutschland/nazi-terror/bka-beamter-im-zeugenstand-nsu-prozess-woher-hatte-das-terror-trio-die-mordwaffe_id_4111851.html
und http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nsu-prozess-woher-kam-die-mordwaffe.c4eafb01-400c-4f7c-9860-8552fdf611aa.html
und http://www.weser-kurier.de/news/politik3/inland_artikel,-Beschaffungsweg-der-NSU-Mordwaffe-bleibt-unklar-_arid,935379.html
Anmerkung: Zu diesen Nachrichten passt ein Kommentar zu den NSU-Mördern, der uns kürzlich erreichte und den wir zu dieser Nachricht noch einmal zitieren wollen:
RE: 20140809 NSU Morde noch lange nicht aufgeklärt
Von dieser These ist übrigens auch ein "überaus seriöses Parlamentsmitglied überzeugt, das den NSU-Skandal untersucht hat - und dem Verfassungsschutz gezielte Vertuschung vorwirft", wie Herr Jörges im stern vom 31.7.14 auf S 24 schreibt.
In 4 Thesen stellt er fest:
- Der NSU bestand nicht nur aus dem bekannten Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Der Kreis der Täter war erheblich größer, die unbekannten sind noch auf freiem Fuß. Dafür spricht allein die Dichte der Taten in den elf Monaten bis August 2001: vier Morde in Nürnberg, Hamburg und München, ein Bombenanschlag in Köln, zwei Raubüberfälle in Chemnitz und Zwickau. Im selben Zeitraum hatte das Trio aber auch zwei Umzüge zu bewältigen, einen von Chemnitz nach Zwickau, den anderen in Zwickau. Alles zusammen überfordert drei Leute - im Untergrund lebend, mit der zeitraubenden Ausforschung von Opfern und Tatorten. Es gab ein Netzwerk von Tätern, nicht nur Helfern.
- Das NSU-Trio, so die zweite These, wurde vom Verfassungsschutz in den Untergrund geschleust und lief dort aus dem Ruder.
- 2007 wurde dann in Heilbronn die aus Thüringen stammende Polizistin Michele Kiesewetter erschossen. Aber nicht zufällig, aus Hass auf den Staat und nur von Böhnhardt und Mundlos, sondern - so die dritte These - nach sorgfältiger Ausforschung von sechs Tätern.
- Der Staat - vierte These - war bis zum Schluss dabei. Zwischen dem Ende der rassistischen Mordserie 2006 und dem Banküberfall in Eisenach 2011, nach dem sich Mundlos und Böhnhardt das Leben nahmen, lagen fünf Jahre, in denen sie an unbekanntem Ort lebten und Zschäpe nur gelegentlich in Zwickau besuchten. Wurden sie in einem Schutzprogramm abgedeckt?
Wäre es nicht wert diese Thesen in einem neuen Untersuchungsausschuss zu untersuchen, der nicht von einem Vorsitzenden geleitet wird, der durch kinderpornografisches Material unter Druck zu setzen ist?
Auch das Gericht in München wäre ein geeigneter Ort zur Wahrheitsfindung, allerdings müsste sich der Vorsitzende Richter dann darauf einstellen, dass seine ganze jetzige Anklage, die von dem "Gangster-Trio" ausgeht, in sich zusammenbricht.
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Kommentar: RE: 20140822 "Sabotage durch Verfassungsschutz"
Solche Eingriffe durch den Verfassungsschutz gibt es scheinbar viel mehr als man als rechtsstaatstreuer Normalbürger erwartet. Im Mai 1995 hatte eine Augenzeugin einen gesuchten RAF-Verdächtigen im Mord am Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen in Freiburg gesehen und dies dem LKA gemeldet. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg bereitete daraufhin eine Zielfahndung und den Zugriff vor. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), informiert vom Generalbundesanwalt (GBA), verhinderte jedoch den Zugriff. (s. http://www.all-in.de/nachrichten/deutschland_welt/politik/Bericht-RAF-Ermittler-wurden-vom-Verfassungsschutz-gestoppt;art15808,1829926 ) Im November 1996 klärte sich allerdings auf, dass der Gesuchte zum Tatzeitpunkt nachweislich nicht in Deutschland war, was dem BfV nach Aktenlage im Vorjahr noch nicht bekannt war.
Susanne, 30.11.2014 11:05
RE: 20140822 "Sabotage durch Verfassungsschutz"
Schaut mal zur Rolle des VS bei den NSU-Morden:
Thomas Moser: https://www.youtube.com/watch?v=f-VWZReKXU8 (Teil 1),
https://www.youtube.com/watch?v=jpQWQ6vTElc (Teil 2).
Martina Renner, auch mit Parallelen zur Aufarbeitung der NSA-Überwachung:
https://www.youtube.com/watch?v=EHPp309wko8.
Heike Kleffner, Katharina König:
https://www.youtube.com/watch?v=bqraSfRUwwA
Bernd, 15.12.2014 11:12
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Erstellt: 2014-08-22 07:50:01 Aufrufe: 1660
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