EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vom EUGh verworfen
7 Jahre Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung
Aktion Freiheit statt Angst begrüßt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur EU Richtlinie über die Speicherung unserer Kommunikationsdaten.
Die Richtlinie ist nicht nur unvereinbar mit EU-Recht, sie ist auch rückwirkend nichtig! Welche eine Schlappe für die Befürworter der VDS!
Der EUGH hat auf der ersten Stufe in Rn. 49f. die Geeignetheit der VDS zur Kriminalitätsbekämpfung zwar bejaht. hat aber dann die Erforderlichkeit trotz der großen Bedeutung der Kriminalitätsbekämpfung verneint. Diese klare Verneinung der Erfoderlichkeit selbst zur Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität ist von nun an in den Vordergurnd der Argumentation zu stellen. Hier (Rn. 51) hat das Gericht eine echte Bremse aufgestellt. Nach den Rn 52 bis 59 geht eine anlasslose VDS zukünftig gar nicht mehr, weil der EUGh zur Bedingung macht, dass ein Link zu einer konkreten Straftat oder Ermittlung vorliegen muss (Rn 58/59).
Das komplette Urteil auf deutsch http://wirspeichernnicht.de/C_0293_2012-DE-ARR.pdf
Seit über 7 Jahren kämpfen wir gegen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (VDS). Schon im Herbst 2007, vor dem Inkraftteten des Gesetzes in Deutschland, haben wir der Bundeskanzlerin unsere Argumente übermittelt und vor diesem Gesetzesverstoß gewarnt - vergebens.
Erst nachdem das Bundesverfassungsgericht am 2. März 2010 auf die Beschwerden von über 34.000 Bürgerinnen und Bürgern die deutschen Vorschriften zur Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat, haben wohl einige Politiker bemerkt, dass mit der EU-Richtlinie grundlegende Rechte der Menschen verletzt werden.
Daraufhin hat die Zivilgesellschaft in Europa auch einen Stopp des europaweiten Zwangs zur Vorratsdatenspeicherung gefordert. In einem gemeinsamen Brief haben wir mit über 100 Organisationen aus 23 europäischen Ländern die EU-Kommission aufgefordert, "die Aufhebung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung zugunsten eines Systems zur schnellen Sicherstellung und gezielten Aufzeichnung von Verkehrsdaten vorzuschlagen". Unter den Unterzeichnern befinden sich Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen ebenso wie Telefonseelsorge- und Notrufvereine, Berufsverbände etwa von Journalisten, Juristen und Ärzten, Gewerkschaften wie ver.di, Verbraucherzentralen und auch Wirtschaftsverbände wie der deutsche eco-Verband.
Auch die Datenschutz-Arbeitsgruppe der EU Kommission hat die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung bereits im Jahr 2010 für rechtswidrig gebrandmarkt. Im Rahmen der Überprüfung der EU Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hat die Arbeitsgruppe WP29 die bestehende Ausgestaltung in den einzelnen EU Staaten schwer kritisiert und auf ihrer Sitzung vom 12-14 Juli 2010 u.a. festgestellt: Die europäischen Datenschutzbehörden halten die aktuelle Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig.
Leichte Bedenken konnten wir dann auch bei EU Kommissarin Viviane Reding, Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, auf einer Diskussionsveranstaltung in Berlin feststellen. Trotz fehlender Argumente für die VDS blieb die EU-Richtlinie unverändert und die "Evaluation" verlief über Jahre ergebnislos.
Im September 2011 gab es eine Petition gegen eine neue Vorratsdatenspeicherung
an den Deutschen Bundestag. Innerhalb der vorgegebenen drei Wochen-Frist unterzeichneten deutlich mehr als 50.000 Bürger die Online-Petition gegen die anlasslose Speicherung von Internet- und Telefonverbindungsdaten. In der Petition wurde klargestellt, dass das eine Jahr Vorratsdatenspeicherung in Deutschland "als Test" ausreichen müsste. Es hat sich gezeigt, dass es keine Gründe für aber viele gegen die anlasslose Überwachung des Telefon- und Internetverkehrs gibt (siehe Vorratsdatenspeicherung laut Kriminalstatistik überflüssig).
Die Petition forderte, dass sich die Bundesregierung für die Abschaffung der EU Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung stark machen solle - das Gegenteil war der Fall.
Ebenfalls im September 2011 konnten wir auf der Abschlußpräsentation des Projekts "Interessenausgleich im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung" (InVoDaS) an der Berliner Humboldt Uni erneut bestätigt bekommen:
- Es kann keinen Ausgleich der Interessen zwischen Bürgerrechten und einer VDS geben.
- Die Problematik der Vertrauensberufe ist technisch nicht beherrschbar (Mobilität, Anzahl der Vertrauensberufe ist größer als Ärzte und Anwälte).
- Die VDS ist der (oben beschriebene) Dammbruch, da anlasslos gespeichert und überwacht wird. Hinzu kommen die Pläne zur PNR und Content-Überwachung.
- Anhand von Statistiken zeigt sich, dass die VDS weder zur Aufklärungsrate beigetragen hat, sondern sogar, dass sie nicht nötig war.
- Zudem hat die VDS eher zu einem Ausweichen von Kriminellen auf andere Kommunikationswege und zur Verschlüsselung geführt und war damit für die Ermittlungsarbeit eher kontraproduktiv.
- Über die Hälfte der Bevölkerung sind selbst nach einer CDU Studie gegen die VDS, nur 16% dafür.
Ein besonderes Highlight der Veranstaltung war die Warnung der Berliner Datenschützer, Alexander Dix, der darauf verwies, dass trotz des Verbots des BVerfG vom März 2010 viele Provider auch 1 Jahr später immer noch Daten speichern würden .
Im Herbst 2011 haben wir uns zusammen mit anderen europäischen NGOs mit einem Brief an die EU Kommissarin Malmström gewandt. Darin haben wir ihr noch einmal die Gründe dargelegt, warum eine Vorratsdatenspeicherung in der EU nicht nur gegen die Menschenrechte verstößt, sondern dass die anlasslose Überwachung von über 300 Mio. Menschen keinen Zweck erfüllt. Es gibt bis heute keine angemessenen Belege für Erfolge der Polizeibehörden durch die erhobenen und gespeicherten Daten.
Die herrschende deutsche Politik blieb vom Verfassungsgerichtsurteil ebenso unbeeindruckt wie von den Diskussionen auf EU-Ebene. Die Wiedereinführung einer VDS in Deutschland blieb lediglich wegen des Streits zwischen der FDP-Justizministerin mit dem CDU-Innenminister auf der Strecke.
Im letzten Herbst hat nun die Große Koalition die Absicht bekräftigt, trotz aller Proteste der Zivilgesellschaft, ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland auf den Weg zu bringen. Dieser grundrechtswidrigen Politik gegen die Menschen wurde mit dem heutigen Urteil ein Riegel vorgeschoben.
VDS nicht nur grundrechtswidrig sondern auch sinnlos und gefährlich
In vielen Studien wurde die Sinnlosigkeit der VDS nachgewiesen.
- Einer im Mai 2008 vom Meinungsforschungsinstitut Forsa durchgeführten repräsentativen Umfrage zufolge empfindet fast die Hälfte der Bundesbürger die Vorratsdatenspeicherung als unverhältnissmäßigen und unnötigen Eingriff in ihre Freiheitsrechte. Die Mehrheit der Befragten gab überdies an, wegen der Vorratsdatenspeicherung auf den telefonisch oder per E-Mail angebotenen Rat von Eheberatungsstellen, Psychotherapeuten oder Drogenberatungsstelle auch dann zu verzichten, wenn sie ihn benötigten würden.
- Eine 270 Seiten lange Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht (MPI) belegte es schwarz auf weiß: Es gibt keine Anhaltspunkte, dass ungeklärte Tötungsfälle mittels auf Vorrat gespeicherter Telekommunikationsdaten hätten gelöst werden können.
- Verbindungsdaten verraten sehr intime Details wie etwa potenzielle Krankheiten fanden US-Wissenschaftler der Stanford Uni heraus. Die Teilnehmer an der Untersuchung führten Gespräche mit den Anonymen Alkoholikern, Waffengeschäften, Gewerkschaften, Scheidungsrichtern, auf Sexualkrankheiten spezialisierte Kliniken oder etwa Strip-Clubs ... und waren ganz leicht identifizierbar. Bei 72% der 5000 Teilnehmer konnten aus dem so generierten Material Telefonnummern über Yelp, Facebook und Google Places schließlich deren Namen und Adressen festgestellt werden.
Um so schlimmer war die Erkenntnis, dass die erhobenen Daten für andere Zwecke missbraucht wurden. So wurden im Jahr 2009 in Polen von Polizei und Geheimdienst über 1 Million mal Vorratsdaten abgefragt, das sind 27 Abfragen auf 1000 Einwohner. Über ein Dutzend polnischer Journalisten wurden bis 2009 überwacht und ihre Informanten durch die Vorratsdatenspeicherung enttarnt.
Zum Schluß noch einmal die Argumente gegen die VDS
... denn wir fürchten, dass die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung mit dem heutigen Urteil nicht beendet ist.
- Die VDS verstößt gegen das Menschenrecht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung.
- Anlasslose Überwachung kehrt die Unschuldsvermutung um.
- Die VDS ist unverhältnismäßig und greift in die persönliche Privatsphäre ein.
- Die VDS beeinträchtigt berufliche Aktivitäten (z.B. in den Bereichen Medizin, Recht, Kirche, Journalismus) ebenso wie politische und unternehmerische Aktivitäten, die Vertraulichkeit voraussetzen.
- Die VDS erzeugt Angst und verändert unser (Kommunikations-) Verhalten
- Dadurch schadet die VDS letztlich unserer freiheitlichen Gesellschaft insgesamt.
- Die VDS kann Terrorismus oder Kriminalität nicht verhindert. Sie ist unnötig und kann von Kriminellen leicht umgangen werden.
- Die VDS teuer ist und Wirtschaft und Verbraucher durch zusätzliche Speicherkosten belastet.
- Die VDS diskriminiert Nutzer von Telefon, Mobiltelefon und Internet gegenüber anderen Kommunikationsformen.
Lasst uns gemeinsam gegen jeden neuen Versuch einer Speicherung unseres Kommunikationsverhaltens kämpfen!
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Kommentar: RE: 20140408 EUGh verwirft Vorratsdatenspeicherung
Wie geht es denn nun in den einzelnen Ländern weiter?
DE: reletiv einfach, wir müssen uns nur gegen ein neues Gesetz wehren und dafür gibt es nun noch mehr Argumente
Ähnlich in den Staaten, wo die obersten Gerichte ähnlich entschieden hatten (Rumänien, Tschechien, Schweden(?) ...
In allen anderen Ländern müssen die nationalen Gesetze erst gekippt werden, denn das jeweilige nationale Verfassungsgericht entscheidet. Das kann evtl. zu Klagen wieder bis zur weitere Vorlage an den EuGH führen und Jahre dauern.
Auf EU-Ebene könnte die neue EU-Kommission nach der EU-Wahl einen neuen Richtlinienvorschlag vorlegen - also nur Parteien wählen, die gegen die VDS sind!
Jochen, 18.04.2014 12:54
RE: 20140408 EUGh verwirft Vorratsdatenspeicherung
Auf dem Urteil des EuGH, der die VDS eindeutig als grundrechts- verletzend eingestuft hat, ist noch nicht einmal die Druckertinte getrocknet – schon wird von diversen Politikern und Verantwort- lichen mit verschiedenen Argumentationen erneut die VDS gefordert.
Es macht uns wütend, dass schon wieder behauptet wird, dass diejenigen Schuld an Kindesmissbrauch seien, die sich gegen Vorratsdatenspeicherung aussprechen, unter anderem, dass sie über Leichen surfen würden. ...
Es macht auch wütend, dass wieder Missbrauch mit dem Kindesmissbrauch betrieben wird, dass wir – als Betroffene von sexueller Gewalt und Missbrauch in der Kindheit und Jugend – erneut instrumentalisiert werden, um in Grundrechte aller einzugreifen.
gefunden auf der Seite von MOGiS e.V. – Eine Stimme für Betroffene
https://mogis-verein.de/blog/2014/04/26/und-taglich-grust-die-vorratsdatenspeicherung/
26.04.2014
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Erstellt: 2014-04-08 21:29:00 Aufrufe: 4802
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