20.06.2014 Tag des Flüchtlings und 10 Jahre Cap Anamur

Welttag des Flüchtlings und 10 Jahre Cap Anamur

Aktion Freiheit statt Angst hat gestern an einer Veranstaltung von Borderline Europe teilgenommen auf der Elias Bierdel im Haus der Demokratie in Berlin über die Ereignisse im Mittelmeer vor 10 Jahren berichtete und diese in die Flüchtlingspolitik der EU einordnete.

Die Veranstaltung im gut besetzten Robert Havemann Saal war als Podiumsdiskussion zwischen Karl Kopp (Pro Asyl), Elias Bierdel (Borderline Europe), Aminu Munkaila (einer von 37 von der Cap Anamur geretteten Flüchtlingen) und der Moderation durch Jörg Riemenschneider (Borderline Europe und NDR Reporter) geplant. Die Ohnmacht schwarzer Menschen gegenüber der "EU-Staatsmacht" wurde dann schon durch das (vergebliche) Warten auf Aminu Munkaila deutlich. Trotz Visum für die Reise nach Deutschland wurde er zuerst in Madrid nicht in die EU eingelassen, weil angeblich seine "Einladung" fehlte - dabei gibt es ohne Einladung gar kein Visum. Nach dem Fax der Einladung nach Madrid konnte er die Reise nach Berlin Tegel fortsetzen. Allerdings durfte er dort deutschen Boden erst zum Ende der Veranstaltung betreten. So viel als Einstieg über Rechtsstaat und Hautfarbe.

Die übrigen Referenten stellten die Entwicklung der Asylpolitik von deren praktischer Abschaffung durch die Grundgesetzänderung Anfang der 90-er Jahre bis heute dar. Während Ende der 80-er Jahre der Grenzzaun um die EU-Enklaven in Ceuta und Melilla eher einem Gartenzaun mit 1,20m Höhe ähnelte und afrikanische Fischer ihren Fang an jeder Küste im Mittelmeer anlanden konnten, wurde nach dem Abbau des "Eisernen Vohangs" in Europa ein viel grausames Grenzregime an den Außengrenzen hochgezogen und die Zäune um die spanischen Enklaven erreichen inzwischen 7m Höhe.

23.000 Menschen haben nachweislich ihr Leben verloren bei dem Versuch ohne Visum EU Gebiet zu betreten, die Dunkelziffer ist wohl noch viel höher.

Eine positive Entwicklung hat im letzten Jahr nach den nicht mehr totzuschweigenden "Unglücken" vor Lampedusa eingesetzt. Dort hatte die Küstenwache die Rettung eines überladenen Bootes behindert und 360 der 500 Flüchtlinge starben. Dies führte dazu, dass Italien und die Grenzschutzagentur FRONTEX ihr Projekt "Mare nostrum" (Das ist unser Meer - warum eigentlich?), welches sich davor zuerst um die Abwehr von Flüchtlingsbooten kümmerte nun zu einer "Rettungsaktion" umdeklariert wurde. Seitdem steigt die Zahl der Flüchtlinge - jetzt zu Jahresmitte sind es bereits mehr als 2013. Das lässt uns die Zahl der unbekannten Opfer vergangener Jahre noch höher schätzen.

Zu dem Fall der Cap Anamur im Juni 2004 konnte Elias Bierdel bestätigen, dass die unrechtmäßige 5-jährige Beschlagnahme des Schiffs und die Einkerkerung von ihm, dem Kapitän und dem 1. Offizier in Italien als Präzidenzfall von der EU Politik, in erster Front auch von Deutschland, so gewollt war. Er hatte mit der Cap Anmur als "privater Unternehmer" Menschen in Seenot gerettet (Verpflichtung nach internationalem Seerecht) und musste diese "auf kürzestem Weg in einen sicheren Hafen" bringen. Diese rechtliche "Lücke" durch das Völkerrecht im EU-Grenzregime musste mit allen Unrechts-Mitteln geschlossen werden, bevor sie Schule macht.

Dafür wurden Kriegsschiffe zur Blockade seines Schiffs aufgewendet und auch das lokale italienische Recht gebeugt. Der italienische Staatsanwalt hat ihm beim Verhör gesagt, dass er weiss, dass er kein "Schlepper" sei aber als solcher verurteilt werden müsste.

Welche Lehren können wir heute vor dem Welttag der Flüchtlinge daraus ziehen?

  • Eine Asylpolitik, die den Namen auch verdient, muss Menschen in Not die Möglichkeit geben, dieses Begehren auch auszudrücken. Dazu müssen die Menschen europäischen Boden betreten dürfen.
  • Die Visumspflicht ist abzuschaffen, denn sie verhindert genau dies. Auch damit ist nur wenigen geholfen, denn nur wenige Flüchtlinge sind/waren überhaupt im Besitz eines Passes.
  • Das Asylverfahren ist transparent zu gestalten, alle bürokratischen Hürden und Fallstricke, die nur die Zahl der Antragsteller verringern soll, sind abzuschaffen.
  • Das Prinzip des "Ankunftslandes" (Dublin II?) ist aufzuheben. Wenn ein Flüchtling nach seiner Ankunft in Griechenland inhaftiert wird, während z.B. seine Familie ihn in Schweden gern aufnehmen würde, so widerspricht dies jeder Menschlichkeit und auch wirtschaftlichen Erwägungen.

Die Anwesenden bedauerten, dass durch bürokratische Maßnahmen die Teilnahme von Aminu Munkaila verhindert wurde. In diesem Zusammenhang fiel allen das Vorgehen der Bundespolizei auf Bahnhöfen und in Zügen ein, die vor allem bei andersfarbigen Menschen anlasslose Kontrollen durchführt, den Vorwurf von "racial discrimination" aber weit von sich weist.

Nach der Veranstaltung konnten wir mit Elias Bierdel und Jörg Riemenschneider über unsere Arbeit zum Thema FRONTEX und über unser Filmprojekt* "FRONTex - FORT EUROPE" sprechen und ihnen eine erste Version der DVD übergeben. Elias Bierdel verwies uns im Gegenzug auf sein Filmprojekt www.hartandergrenze.de zum Thema europäische Flüchtlingspolitik.

*) Darüber nach Fertigstellung demnächst mehr


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Kommentar: RE: 20140620 Tag des Flüchtlings und 10 Jahre Cap Anamur

Barbara Lochbihler, Grüne EU Abgeordnete, schreibt zum heutigen Tag in ihrer Pressemitteilung auch zur Militäraktion Mare Nostrum:

Deutsche Asylpolitik: Eingeständnis der eigenen Gleichgültigkeit

Anlässlich des morgigen Weltflüchtlingstages fordert Barbara Lochbihler, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament, ein grundlegendes Umdenken in Europa und ein Ende flüchtlingspolitischer Gleichgültigkeit in Deutschland:

"Als im Oktober hunderte Flüchtlinge vor Lampedusa ertranken, war die Betroffenheit groß. Doch bereits wenige Tage später machten die europäischen Staats- und Regierungschefs, allen voran Angela Merkel auf ihrem Gipfel in Brüssel eines klar: Die paar Trauerreden müssen reichen, Reformen lehnen wir ab.

Zwar konnten seither im Rahmen des italienischen Programms MARE NOSTRUM tausende Flüchtlinge vorm Ertrinken gerettet werden. Doch die Mission steht unter starkem Druck: Italien äußert sich zunehmend besorgt über Umfang und Kosten, schiebt zahlreiche Flüchtlinge wieder ab, setzte erst kürzlich 400 syrische Flüchtlinge einfach auf Parkplätzen aus und fordert mehr Unterstützung aus anderen EU-Staaten. Vergebens, denn gerade Länder wie Deutschland scheinen fest entschlossen, ihre südlichen Nachbarn auch in Zukunft allein zu lassen. Dass Italien seine Seenotrettung ganz oder in Teilen einstellen, dass wieder hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken könnten - für den deutschen Innenminister und die Regierung Merkel offenbar unwesentlich.

De Maizière lenkt derweil ab und gibt den Mahner: Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes zeigte er sich jetzt entsetzt darüber, dass "die rechte Szene unablässig versucht, die Stimmung gegenüber Fremden zu vergiften, indem sie Ängste und Vorurteile gegen Asylsuchende schürt". Selbst versucht der Minister aber, Länder wie Serbien als sichere Drittstaaten zu definieren. Er legt Gesetzentwürfe vor, die die Inhaftierung von Asylsuchenden auch in Deutschland zur Norm machen könnten. In vollem Wissen um die Lage in Italien schiebt er Asylsuchende im Rahmen der Dublin-Verordnung bedenkenlos von Deutschland dorthin zurück. Und auf europäischer Ebene wehrt sich seine Regierung vehement gegen die wenigen konstruktiven Vorschläge der Kommission, beispielsweise zu legalen und sicheren Einreisemöglichkeiten. De Maizière warnt vor Stimmungsmache und Stereotypen, setzt gleichzeitig aber alles daran, dieselben Vorurteile gesetzlich zu verankern.

Man sollte meinen, dass auch für die deutsche Regierung jeder einzelne tote Flüchtling einen traurigen Weckruf, jedes einzelne Bootsunglück eine dramatische Erinnerung an das eigene Versagen bedeutet. Bislang aber entsteht der gegenteilige Eindruck. Bereits nächste Woche wollen die Staats- und Regierungschefs in Brüssel erneut über die EU-Flüchtlingspolitik beraten. Alles andere als die Einleitung längst überfälliger Reformen wäre ein Eingeständnis der eigenen Gleichgültigkeit."

Barbara Lochbihler, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament, 19.06.2014 12:14


 


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Erstellt: 2014-06-19 06:45:17
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